

Was wäre, wenn der verschollene
Goldzug der Nazis
doch bereits entdeckt worden wäre?

LESEPROBE
Walim/Polen – August 1988
Als Krysztof das erste Mal von dem Geheimnis hörte, war er gerade siebzehn geworden. Die Höhepunkte seines Geburtstags waren exakt die gewesen, die es, solange er denken konnte, jedes Jahr gewesen waren. Der feuchte Schmatzer seiner Mutter. Immer begleitet von diesem innigen, liebevollen Blick. Der kumpelhafte Fauststupser seines Vaters. Immer gegen die linke Brust, weil dort das Herz schlug. Das bedeutete einfach nur Anerkennung und ließ ihn jedes Mal um mehrere Zentimeter wachsen. Und die innige Umarmung seines Großvaters, den er auf eine ganz besondere Weise geliebt und verehrt hatte. Er hatte ihn immer fest an sich gedrückt, ihm den Rücken getätschelt und ihm dabei jedes Mal heimlich einen Geldschein zugesteckt und gedacht, dass niemand von den anderen es bemerken würde. Aber natürlich bekam das jeder mit. Obwohl Großvater jetzt schon über zehn Jahre tot war, meinte Krysztof immer noch, den leicht muffigen Geruch in der Nase zu haben, den die Kleidung seines Opas verströmt hatte. Mehr hatte es zu seinem Geburtstag nie gegeben. Höchstens noch ein paar abgetragene und speckig glänzende Kleidungsstücke, die seine Mutter irgendwo in der Nachbarschaft abgestaubt hatte.
In der Schule war er nie richtig klargekommen. Alle hatten ihn immer gehänselt und hin und her geschubst, weil seine Familie noch ärmer als die seiner Mitschüler und er mindestens einen Kopf kleiner gewesen war als sie. Er war immer das Opfer gewesen. Looser bei Kraftdemonstrationen, Prügelknabe bei Muskelspielen vor den Mädchen, aber auch häufig Ziel für spontane Wutausbrüche. Auch die der Lehrer. Er war eben der Kleinste und Schwächste in der Klasse. Und obwohl ihn diese Demütigungen kränkten und nervten, nahm er sie jedes Mal mit stoischer Geduld hin. Er hatte damals eine andere Welt entdeckt. Eine Welt, in der Träume und Fantasien blühten. Er liebte es, durch die üppigen Wälder und Berge seiner Heimat zu streifen und sich vorzustellen, wie das wohl gewesen war, als Kinder noch keine nervigen Pflichten hatten. Wie Schule und der andere überflüssige Kram, zum Beispiel. Als Kinder noch frei waren. Aber waren sie das wirklich je gewesen? Erst im letzten Schuljahr hatten die ständigen Demütigungen aufgehört. Vielleicht, weil sie erkannt hatten, dass ihn die Schmähungen nicht wirklich trafen. Oder, weil sie vernünftiger geworden waren. Vermutlich aber wohl doch eher, weil Krysztof inzwischen zurückschlagen konnte, weil er seine Mitschüler körperlich ein- und teilweise sogar überholt hatte.
Und dann war dieser Freitag gekommen. Sein Vater hatte wie jeden Sommerabend gedankenverloren auf der morschen Bank vor ihrem Haus gesessen, eine seiner stinkenden Zigaretten herausgeholt, geschickt den Filter abgebrochen, die Bruchkante mit Spucke feucht gemacht, sie sorgfältig zusammengedrückt, die im Mund verbliebenen Tabakkrümel in weitem Bogen ausgespuckt und schließlich, als alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, kunstvolle blaue Ringe in die Luft gepafft. Und sein Bier getrunken. Sein Vater liebte Bier, an manchen Tagen sogar ein bisschen zu sehr. Krysztof hatte an dem wackligen Küchentisch gesessen und versucht, seine Hausaufgaben machen. In wenigen Monate stand die Abschlussprüfung an. Aber Mathe und Polnisch waren nie seine Lieblingsfächer gewesen. Das waren Schulstunden, die er völlig überflüssig fand und in denen er darum gern seine Fantasien auf Reisen schickte und träumte. Polnisch reden konnte er schließlich, und in Mathe beherrschte er das Addieren und Subtrahieren. Das musste reichen. Englisch dagegen, war von der ersten Schulstunde an sein Favorit gewesen, seine, wie sein Vater immer sagte, Eintrittskarte in die große, weite Welt. Das verstand und verinnerlichte er. Waren nicht viele Eroberer und Forscher Engländer gewesen? Und darum hatte er schon von Beginn an eine eins mit Sternchen bekommen. In Englisch war er wirklich gut.
Statt sich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren, hatte er sich also an diesem Abend wieder in seiner Traumwelt verloren und kletterte in Gedanken durch das schroffe und imposante Massiv des Wielka Sowa, der höchsten Erhebung des Eulengebirges, das direkt hinter dem Ort lag. Abrupt gestört von der Aufforderung seines Vaters, ihm noch eine Flasche seines Lieblingsbiers Tyskie zu bringen. Er war sicher gewesen, wieder mal erwischt worden zu sein, dass er statt sich den Schulaufgaben zu widmen in seinen Fantastereien schwelgte, und gleich schützend den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Aber das übliche Donnerwetter war ausgeblieben. Kein Schimpfen, keine Vorwürfe, keine Ermahnung. Nicht mal einer dieser unbeherrschten Faustschläge auf den Tisch, der die elterliche Meckerei noch um ein Vielfaches verstärken sollte und in der Strafenskala kurz vor der Ohrfeige stand. Als er seinen Vater mit schief gelegtem Kopf ansah, hatte Krysztof plötzlich das Gefühl einer unerklärlichen Spannung gehabt, die in der Luft waberte und jeden Moment auf Entladung wartete. Wie ein Gewitter, das sich drohend aufbauschte, um Sekunden später Blitze, Donner, Sturmböen und Regengüsse zu schicken. Und Urängste zu wecken.
„Komm, setz dich mal zu mir.“
Krysztof stellte die Bierflache vor ihn hin und merkte, dass das Herz bis zum Hals schlug. Ohne dass er wirklich sagen konnte, warum. So hatte ihn sein Vater noch nie angesehen. Prüfend. Nachdenklich. Ängstlich. Nervös an seiner Zigarette saugend. Als ob er einen inneren Kampf kämpfen müsste und Angst hatte, den zu verlieren.
1945, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, haben führende Nationalsozialisten von Breslau aus einen gepanzerten Zug nach Polen geschickt, der mit rund 300 Tonnen Gold, Raubkunst, Schmuck, Millionen von Dollars und geheimsten Dokumenten beladen war. In der Nähe von Waldenburg wurde er in einen unterirdischen Stollen geleitet - und war seitdem spurlos verschwunden. Dieser Tunnel gehörte zum Projekt RIESE, einem Bauwerk, das von den Nazis unter höchster Geheimhaltungsstufe im schlesischen Eulengebirge nahe Walim gebaut wurde. Alle Versuche, den Goldzug nach Kriegsende zu finden, waren vergeblich. Bis er 20 Jahre später durch Zufall von dem Großvater von Krysztof Kaczmarek entdeckt wurde. Er bewahrte dieses brisante Geheimnis lange Jahre und weihte nur seinen Sohn Ante ein.
An seinem 17. Geburtstag gibt Vater Ante dieses Wissen an seinem Sohn Krysztof weiter und überlässt ihm auch die brisanten Dokumente und Pläne, die Krysztofs Großvater in dem Goldzug gefunden hat. Kurze Zeit später wird Ante von einem rätselhaften Bündnis ehemaliger Nazigrößen und dessen Erben ermordet. Krysztof muss daraufhin bei Nacht und Nebel aus Walim fliehen. Er nutzt den „Prager Frühling“, um 1989 in den Westen zu kommen und schließlich in den Slums von Rio de Janeiro unterzutauchen. Aber die Jagd nach den brisanten Papieren hat gerade erst begonnen. Erst am 20. April 2021, Hitlers Geburtstag, beginnt der große Showdown in David, einem kleinen Ort in Panama.
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Werner K. Fischer
Schattentage
Der Weg ins Licht
756 Seiten
tredition-Verlag
Paperback – ISBN 978-3-347-35384-8
Hardcover – ISBN 978-3-347-35385-5
ebook – ISBN 978-3-347-35386-2